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14.11.22
„Wir sind raus aus der ökonomischen Abwärtsspirale“
Finanzchef Dr. Eric Huwer erklärt das beste Jahresergebnis seit der Ausgliederung und den Schuldenabbau trotz Corona-Krise.
HSV.de: Der HSV hat das Geschäftsjahr 2021/22 mit einem Überschuss von einer Million Euro abgeschlossen und damit erstmals seit zwölf Jahren ein positives Jahresergebnis zu vermelden. Viele externe Beobachter und Fans dürfte das überrascht haben im fünften Zweitligajahr. Sie auch?
Dr. Eric Huwer: Nein. Diese Jahreszahlen sind das Ergebnis kontinuierlicher Arbeit, Beharrlichkeit und frühzeitiger Einleitung von entsprechenden Maßnahmen, insbesondere seit 2019. Wenn Corona nicht eingetreten wäre, hätten wir bereits im Geschäftsjahr 2019/20 ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt. Wir haben eine gute Gemeinschaftsarbeit geleistet und zudem trotz des verpassten Aufstiegs von unserer sportlichen Entwicklung profitiert. Ungeplante Mehreinnahmen im DFB-Pokal, in der Relegation sowie Transfererlöse haben einen entscheidenden Effekt gehabt.
"Seit dem Abstieg im Jahre 2018 wurden die Finanzverbindlichkeiten fast halbiert, im abgelaufenen Geschäftsjahr um 17,5 Millionen Euro"
Können Sie den erheblichen Abbau der Finanzverbindlichkeiten erklären? Wie geht das in Liga zwei?
Wir haben die Nettofinanzverbindlichkeiten, einfach gesprochen: die tatsächlichen Schulden, allein im abgelaufenen Geschäftsjahr um 17,5 Millionen Euro reduziert. Seit dem Abstieg im Jahr 2018 wurden die Finanzverbindlichkeiten damit auf jetzt noch verbliebene 31,4 Millionen Euro fast halbiert. Der Schuldenstand rangiert erstmalig unter dem Stand nach der Ausgliederung im Jahr 2014. Den eingeschlagenen Weg eines verlässlichen und ambitionierten Abbaus unserer Finanzverbindlichkeiten haben wir auch in der größten Krise nicht verlassen und beschreiten ihn fort. Der Schuldenabbau ist das Eine, die Stärkung der finanziellen Solidität und Agilität das Andere.
Der Ausbau der finanziellen Agilität, sprich: die Vorbereitung auf weniger erfolgreiche Zeiten, stellt die nach meinem Dafürhalten wichtigste wirtschaftliche Aufgabe in einem Profifußballclub dar und stand bereits vor der Pandemie im Fokus unserer Bemühungen. So konnten wir beispielsweise unmittelbar vor Ausbruch der Krise, als die wirtschaftlichen Vorzeichen noch gutstanden, entsprechende vorbeugende Maßnahmen einleiten und unter anderem unsere Kontokorrentlinien ausweiten.
Während der enormen Pandemie-Einschränkungen mit Zuschauer-Ausschluss hatten einige Proficlubs Liquiditätsengpässe. Wie war und ist es um den HSV diesbezüglich bestellt?
Während das Credo „Liquidität first“ bereits vor der Pandemie speziell im Profifußball aufgrund verbandsrechtlicher Vorgaben und branchenspezifischer Dynamiken eine der primären Leitlinien wirtschaftlichen Handels darstellte, hat es sich in der Corona-Krise noch verstärkt. Wir gehörten nicht zu den Clubs, die unter Liquiditätsengpässen litten, und haben die damals medial so begleitete Abfrage der DFL auch entsprechend beantwortet. Wir verfügten zu jedem Zeitpunkt der Krise über ausreichende Liquidität. Wir konnten zudem frühzeitig entsprechende Maßnahmen identifizieren, um das Schiff durch die am Horizont erkennbaren pandemischen Eisberge zu navigieren. Die Jahre zuvor haben dabei sicherlich ihren Zweck nicht verfehlt. Die wirtschaftliche Resilienz des HSV bestand bereits vor Ausbruch der COVID 19-Pandemie. Seit Jahren erhalten wir die DFL-Lizenz ohne Bedingungen und Auflagen. Dies war zu meiner Anfangszeit beim HSV trotz Bundesliga-Zugehörigkeit noch anders.
"Wir gehen mit unseren Mitteln verantwortungsvoll um und richten wirtschaftlich wie sportlich den Blick eindeutig nach oben"
Was bedeutet die Eigenkapitalquote von 30,3 Prozent?
Sie ist eine ausgezeichnete Nachricht. Wir haben ein positives Ergebnis erwirtschaftet und das Eigenkapital erhöht. Wir sind raus aus der ökonomischen Abwärtsspirale. Es tut gut, von einem „Jahresüberschuss“ und nicht über einen „Jahresfehlbetrag“ sprechen zu können.
Die Ausweitung des Eigenkapitals und der Eigenkapitalquote sind dabei Ausdruck unserer wirtschaftlichen Solidität. Diese Größe genießt im Rahmen der Lizenzierung neben der Liquidität auch gesteigerte Bedeutung. National wie international wird negatives Eigenkapital zunehmend sanktioniert. Durch das positive Ergebnis und das Vertrauen unseres Gesellschafters AMPri, der sich im Frühjahr im Rahmen einer Kapitalerhöhung die letzten aus dem bereits genehmigten Kapital verfügbaren Gesellschaftsanteile sicherte, hat sich unsere wirtschaftliche Solidität verbessert. Die Botschaft ist klar: Wir gehen mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln verantwortungsvoll um und werden damit dem Vertrauen der Kapitalgeber gerecht.
Können Sie einen Einblick in die aktuellen Zahlen gewähren? Funktioniert das Geschäftsmodell weiterhin?
Dieses Ergebnis ist das Resultat zahlreicher Bemühungen, die sich über viele Jahre erstrecken. Wir haben unsere wirtschaftliche Atmungsfähigkeit erhöht, sprich: unsere Aufwendungen an die Erträge anpassen können, Schulden in erheblicher Höhe abgebaut und unseren Personalaufwand reduziert. Ferner können wir im Volksparkstadion keinen so vielerorts prognostizierten Nachfragerückgang nach Aufhebung der pandemiebedingten Zuschauerausschlüsse erkennen, im Gegenteil: Viele der Kolleginnen und Kollegen aus der Bundesliga beneiden uns Woche für Woche um unsere Anhängerschaft.
Die Ticketingerlöse liegen über Plan, der Dank geht an unsere Fans; man kann es nicht oft genug betonen, und wir sind dankbar und demütig für diese Verbundenheit zum HSV. Die aktuellen Zuschauerzahlen belegen in beeindruckender Weise die stabile Nachfrage nach unserer Art und Weise, Fußball anzubieten und auf den Rängen zu leben. Die Interaktion zwischen Rasen und Tribüne in unserem so stimmungsgeladenen Volksparkstadion ist sicherlich ein identitätskonturierendes Merkmal unseres Clubs und damit Werttreiber unseres Geschäftsmodells, um es mal betriebswirtschaftlich zu formulieren. Anders ausgedrückt: Das Volksparkstadion bebt, der HSV begeistert und gestaltet auf dieser Basis nachhaltig seine Zukunft. Natürlich darf man in diesem Zusammenhang auch unsere Gesellschafter und Partner nicht vergessen, deren Treue und Verbundenheit unsere Basis für wirtschaftlichen Erfolg stärken. Ihnen gilt ebenfalls unser herzlicher Dank.
"Wir verfolgen den Weg nachhaltiger positiver Geschäftsergebnisse, ohne Abstriche in der Entwicklung des Kaders machen zu müssen"
Wie betrachten Sie die finanzielle und wirtschaftliche Gesamtlage des HSV, auch im Vergleich zu Mitbewerbern?
Alle 36 Bundesligisten sind nach wie vor von den Implikationen der Krise schwer gezeichnet. Die Hälfte der Clubs macht Verluste in erheblicher Höhe. Als einer der wenigen Clubs stellen bei uns unterdessen nicht etwas die TV-Erlöse, sondern die Ticketingerlöse unter normalen Bedingungen im Wettbewerb die höchste Erlösquelle dar. Der Zuschauerausschluss eines Stadions mit unserer Kapazität in der 2. Bundesliga ist eine deutlich höhere Belastung als bei vielen Mitbewerbern. Unsere große Stärke wurde zur Achillesferse in der Pandemie.
Die Rückkehr zum normalen Spielbetrieb, die Zuschauernachfrage bei Heim- und Auswärtsspielen, das positive Jahresergebnis sowie die Stärkung des Eigenkapitals samt des Ausblicks lassen uns trotz kurzfristiger Herausforderungen von einer positiven Gesamtlage des HSV sprechen. Im Ligavergleich dürfte es kaum vergleichbare Clubs geben, die ein ähnliches Eigenkapital ausweisen, weder in der 2. Liga noch unter den vergleichbaren, sogenannten Traditionsclubs.
Wir blicken angesichts der Entwicklung und wirtschaftlichen Zahlen damit einen Moment zufrieden auf das vergangene Geschäftsjahr, wenngleich wir so knapp den Aufstieg hinter den Bundesliga-Absteigern FC Schalke 04 und SV Werder Bremen verpasst haben. Aber der Blick geht schon seit geraumer Zeit nach vorne. Langfristig wollen wir krisenfester werden, besser vorbereitet auf mögliche sportliche Misserfolge, und weiterhin den eingeschlagenen Weg verfolgen, nicht bedingungslos alles auf den kurzfristigen sportlichen Erfolg zu setzen, sondern zu entwickeln, junge Spieler, eine Spielphilosophie wie auch wirtschaftlich nachhaltig positive Zahlen.
Kurzfristig gilt es, die Herausforderungen hinsichtlich der Stadionmodernisierung und deren Refinanzierung zu lösen. Daran arbeiten wir derzeit mit Hochdruck. Die Zahlen, die Entwicklung der Mannschaft und der Zuschauerzuspruch geben uns kräftigen Rückenwind. Wir machen uns angesichts des bisherigen Saisonverlaufs, dem Zuschauerzuspruch, dem Auftreten sowie der Entwicklung unserer jungen Mannschaft nicht nur berechtige Hoffnungen, den erstrebten Aufstieg in die Bundesliga zu meistern, sondern weiterhin den ehrgeizigen Weg nachhaltiger positiver Geschäftsergebnisse zu verfolgen - ohne Abstriche in der Fortentwicklung des Kaders machen zu müssen. Dieser Jahresüberschuss soll keine Ausnahme sein. Mit diesem Ergebnis sind wir gewappnet, unseren sportlichen Zielen näher zu kommen, und darum geht es im Kern unseres täglichen Handelns. Es ist unser höchstes Bestreben, die wirtschaftlichen und sportlichen Ziele des HSV miteinander zu verbinden. Wirtschaftlich wie sportlich richten wir den Blick eindeutig nach oben.
Vielen Dank für das Gespräch.