skip_navigation

Interview

20.12.23

„Wir nehmen die Proteste ernst und werden sensibel agieren!“

Fanaktionen gegen strategische Vermarktungspartnerschaft der DFL prägten den Spieltag vor der Winterpause – Interview mit HSV-Vorstand Dr. Eric Huwer zur Abstimmung in Frankfurt und zur konkreten Beauftragung.

Beim letzten HSV-Spiel des Jahres in Nürnberg flogen mehrfach Tennisbälle auf das Spielfeld und sorgten für Unterbrechungen, in anderen Bundesligastadien hagelte es Schoko-Bonbons und -Münzen, zudem lautstarke „Scheiß DFL“-Sprechchöre. Die Fanproteste gegen die strategische Vermarktungspartnerschaft der DFL beeinflussten den vergangenen Spieltag maßgeblich. HSV.de sprach mit HSV-Vorstand Dr. Eric Huwer zu dem Gesamtthema.

Wie haben Sie den Spieltag und die Proteste im Stadion in Nürnberg erlebt?

Dr. Eric Huwer: Die zwölf Minuten des eingestellten Supports der Fans nach Anpfiff haben einmal mehr eindrücklich unterstrichen, wie wichtig das Zusammenspiel zwischen dem Spielfeld und der Tribüne ist. Wenn man Torwart-Ansagen an seine Vorderleute permanent verstehen kann und gar kein Support für die Teams erfolgt, wirkt das irgendwie gespenstisch und hat so gar nichts mit dem HSV-Erlebnis oder dem Reiz des Profifußballs zu tun, welche viele Menschen und auch mich begeistern. Das kollektive Schweigen an fast allen Bundesliga-Standorten war ein ausdrucksstarkes Zeichen der deutschen Fanszenen, welches wir entsprechend ernst nehmen.

Konnten und können Sie die Proteste denn nachvollziehen?

Ja, das kann ich. Das Thema emotionalisiert bereits aufgrund der Tragweite der Entscheidung, vielmehr aber ob der generellen Skepsis unter den Fans gegenüber Investoren. Mahnende Beispiele gibt es im Profifußball genügend. Ich kann für unseren HSV eindeutig sagen: Wir nehmen die Proteste ernst und werden sensibel agieren, wenn es um neue Partner und mögliche externe Einflussnahme auf die Bundesligen geht. Die Gesamtthematik muss allerdings differenzierter betrachtet werden, als es die Bilder vom Wochenende der unterschiedlich gut informierten Öffentlichkeit vermittelt haben.

Erstens handelt es sich nicht um den Ausverkauf der deutschen Fußballseele, sondern um eine befristete Minderheitsbeteiligung von maximal 8 Prozent an den Vermarktungserlösen unter Wahrung der hoheitlichen Rechte der Fußball-Bundesliga. All das wird vertraglich festgehalten, genauso wie der Umstand, dass die Vereine immer das letzte Wort haben und die Identität der Bundesliga gewahrt bleibt. Die Liga verkauft also keine Beteiligung an sich selbst, sondern an einer die Medienrechte verwaltenden Tochtergesellschaft, ohne dass Einfluss auf die Kernfragen der Fußball-Kultur und Identität, z.B. hinsichtlich der Anstoßzeiten, genommen werden kann. Wirtschaftlich gesehen handelt es sich also um eine Erlösbeteiligung.

Zweitens geht es nicht darum, den deutschen Markt mit Kapital und die Vereinskassen mit Liquidität zur freien Verwendung zu fluten, sondern die DFL mit bedarfsgerechten Investitionen wie die Etablierung und Implementierung der technologischen Infrastruktur eines komplementären Direktkundengeschäfts (D2C-Plattform) inklusive OTT (Over the Top Content)-Angebot, die Weiterentwicklung der nationalen Angebote und Aufbau von Vermarktungsalternativen zukunftstauglich aufzustellen. Und drittens ist es auch nicht richtig, wie an einigen Stellen vorgeworfen und vermutet, dass dieser Deal klammheimlich im berühmten Hinterzimmer an der Fanbasis vorbei erwirkt wird.

Sondern?

Wir an unserem Standort haben beispielsweise mit Vertretern der Fanszene mehrere intensive Gespräche geführt, dies zuletzt auch unmittelbar im Vorfeld der jüngsten Abstimmung. Hierbei war es uns einerseits wichtig, Transparenz in die komplexe Entscheidungssituation zu bringen und unseren Blick auf die Thematik zu erläutern. Dabei haben wir die uns vorliegenden und insoweit von der DFL freigegebenen Informationen in aller Ausführlichkeit geteilt.

Andererseits war es uns wichtig, zuzuhören, die Sorgen und Bedenken der Fanszene noch besser zu verstehen und zugleich auch inhaltliche Impulse mitzunehmen, die wir in unseren Hinweisen und Rückfragen an die DFL berücksichtigt haben. Hierbei konnten wir wieder einmal feststellen, dass unsere Fans und Mitgliedschaft einen realistischen Blick darauf haben, wie notwendige Finanzierungen und selbstbestimmtes Handeln in Einklang zu bringen sind. Die auch in unserem Haus gewonnene wirtschaftliche Selbstbestimmtheit werden wir im Rahmen des der DFL gewährten Mandats im Auge behalten.

Können Sie für noch etwas mehr Aufklärung sorgen? Warum braucht die DFL gerade jetzt einen strategischen Partner? Was genau soll der Deal bringen? Warum hat der HSV mit „Ja“ gestimmt?

Wir als Clubs und die DFL sind gemeinsam gefordert und stehen auch in einer Verantwortung, die Ligen kontinuierlich weiterzuentwickeln, die finanzielle Stabilität zu gewährleisten und die beiden Ligen sportlich wie wirtschaftlich nicht an Attraktivität einbüßen zu lassen. Es geht nicht um mehr Kommerz oder mehr Geld für immer teurere Transfers, sondern um eine verbesserte Reaktionsfähigkeit auf veränderte Medienmärkte und dabei wirtschaftliche, sportliche und gesellschaftliche Interessen in Einklang zu bringen.

Das Ziel ist, die Zukunftsfähigkeit der Bundesligen im Wettbewerb mit anderen Ligen, aber auch mit anderen Zweigen der Unterhaltungsindustrie sicherzustellen. Alle 36 Clubs sind sich einig, dass hierfür die Notwendigkeit von erheblichen Investitionen insbesondere in die Mediainfrastruktur und in Digitalisierungsprojekte gegeben ist. Dies betrifft im Einzelnen etwa den Aufbau einer Streaming Plattform, den Schutz der nationalen Medienrechte und Projekte der Internationalisierung.

Einzig in der Frage, auf welchem Weg die notwendige Kapitalbeschaffung erfolgen sollte, gab es unterschiedliche Ansichten. Die Geschäftsführung der DFL hat sich für einen strategischen Partner und ein Lizenzmodell ausgesprochen. Das Lizenzmodell vereint die Ziele der Finanzierung mit der Einbringung von externem Know-How und strategischem Netzwerk, der Einbindung des Partners in die Risikostruktur und einer gesicherten Unabhängigkeit der Liga unter Wahrung der Hoheitsrechte wie Spieltagsansetzung etc.. Das Lizenzmodell ähnelt dem bei vielen Clubs praktizierten Modell einer Vermarktungspartnerschaft, wie z.B. Sportfive oder Infront. Dieser Partner profitiert, wenn es gut läuft und büßt ein, wenn es schlecht läuft.

Gegen eine Fremdkapitalaufnahme, also Kredite von Banken oder anderen Finanzdienstleistungsinstituten, haben wir uns demgegenüber auch deshalb ausgesprochen, da dem Ligaverband hierfür keine Sicherheiten wie einem Club zur Verfügung stehen und dies zu einer Vergemeinschaftung von Schulden und Erfüllung von Rückzahlungsverpflichtungen zu im aktuellen Zinsumfeld sehr unattraktiven Konditionen geführt hätte. Wir halten Fremdkapital nicht für die adäquate Lösung für die Weiterentwicklung der Liga, das Gesamtrisiko der Investitionen wäre alleine von Seiten der DFL und der Clubs zu tragen gewesen. Deshalb haben wir mit unserem „Ja“ die DFL beauftragt, Verhandlungen mit einem strategischen Partner aufzunehmen, um unter Wahrung einer starken Markt- und Verhandlungsposition die gemeinsamen Investitionsziele von Clubs und DFL bestmöglich zu erreichen. Der Investor sitzt dabei – im Gegensatz zu einer Bank – mit den Vereinen an Bord, ans Steuerrad darf er indes nicht. Die Entscheidungsgewalt in den wesentlichen Fragen wird bei den Clubs bzw. bei der DFL bleiben.

Befürchten Sie nach den jüngsten Protesten eine weitere Entfremdung der Fanbasis vom Profifußball und dann eben auch von den Clubs?

Auch da möchte ich mir nicht anmaßen, für die Allgemeinheit und die gesamten Ligen oder die anderen Clubs zu sprechen. Für uns beim Hamburger SV kann ich aber sagen, dass ich keine Anzeichen für eine Entfremdung sehe, solange wir von beiden Seiten wie in den vergangenen Monaten den Weg des konstruktiven Austauschs wählen. Wir nehmen unsere Anhängerschaft und ihre Perspektive auf diverse Themen sehr ernst und spüren darüber hinaus Vertrauen der Gesprächspartner in unsere operativen Verantwortungsbereiche.

Und dabei soll und muss es auch mal unterschiedliche Meinungen und Ansätze geben. Wichtig ist doch, dass wir den HSV nicht nach persönlichem Belieben führen, ohne die Wünsche, Bedürfnisse, Sorgen und Ängste unserer Mitglieder und Fans zu beachten. Und dass Fans und Mitglieder unserem Wirken vertrauen. Wir brauchen nicht auf andere Clubs, sondern nur in unsere Vergangenheit zu schauen, um mahnende Beispiele zu finden. Wir sind der Überzeugung, dass wir aus unserer Historie gelernt haben und die Zukunft des HSV zu seinem Besten gestalten wollen. Mit diesem Bestreben bringen wir uns in die Strukturen der DFL ein.

Vielen Dank für das Gespräch.