
Saison
18.02.25
Selkes Selbstvertrauen: Historische HSV-Premiere vom Punkt
Sollte der HSV am Freitag im Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern einen Strafstoß zugesprochen bekommen, würde wohl wieder Davie Selke schießen. Der hat mit seinem letzten Elfmeter übrigens HSV-Geschichte geschrieben. Ein Blick in die Geschichtsbücher.
Genau 2.092 Bundesliga-Punktspiele hat der HSV in seiner Historie bestritten, 1.866 davon zwischen 1963 und 2018 in der Bundesliga, mittlerweile schon 226 seit dem Abstieg 2018 in der 2. Liga. Da möchte man doch meinen, alles schon erlebt und gesehen zu haben, was es so an Kuriositäten im Fußball gibt. Wie viele der berühmten „Geschichten, die nur der Fußball schreibt“ können denn da noch übrig sein? Nun, wir hätten da seit Spiel Nummer 2.092 noch eine neue.
Selke sorgt für Elfer-Novum in der HSV-Historie
Insgesamt 283 Elfmeter (238 + 45) haben sich die Spieler mit der Raute auf dem Trikot im Zusammenspiel mit ihren nicht regelkonform agierenden Gegnern in besagten 2.092 Spielen erarbeitet. Dass ihnen von den Schiedsrichtern sogar zwei Elfmeter in einem Spiel zugesprochen wurden, kam dabei im wahrsten Wortsinn nur „alle Jubeljahre“ vor. Am vergangenen Sonntag in Regensburg gab es diesen Fall erst zum 15. Mal. Statistisch gesehen tritt er also nur jedes 139. HSV-Punktspiel oder alle vier Saisons einmal ein. Und: Der Seltenheitsgrad lässt sich sogar noch erhöhen. Denn schaut man sich die 15 dokumentierten Doppel-Elfer des HSV einmal genauer an (siehe Tabelle unten), kann man Davie Selkes speziellen Auftritt in der Oberpfalz sogar als absolutes Novum der HSV-Historie würdigen. Erstmals nämlich trat ein Schütze, der seinen ersten Schuss versemmelte, auch zum zweiten Versuch an. Das hatte es in der HSV-Historie noch nie gegeben! Bis zum 15. Februar 2025. Bis zu Davie Selke.

Man kann also getrost festhalten: Der Masken- ist auch ein Eismann. Denn nicht wenige der Live-Zeugen im Jahnstadion oder vor den Fernsehschirmen rieben sich ungläubig und wohl auch ein wenig sorgenvoll die Augen: „Der wird doch wohl nicht …?“ Enorme Verantwortung, extreme Fallhöhe! Freie Schussbahn, zentral, aus Nahdistanz, das Ganze in relativer Ruhe, zwar ohne unmittelbare Bedrängnis und Gegner, gleichwohl aber natürlich mit immensem Druck. Rechts, links oder ganz frech in die Mitte, wie einst der legendäre Panenka?
Flach oder hoch? Geschoben mit der Innenseite oder mit Schmackes per Vollspann? Über den Elfmeter im Fußball, jenen faszinierenden Moment, in dem sich das Mannschaftsspiel ganz plötzlich in ein Duell Mann gegen Mann verdichtet, sind zahlreiche wissenschaftliche Studien, ja ganze Bücher verfasst worden. Er scheint vor allem eine Nerven- und Kopfsache zu sein. Klingt ganz nach einem klassischen Moment für Davie Selke. „Ich will Verantwortung übernehmen, und das bedeutet dann eben, in diesen Situationen da zu sein und die Dinger wegzumachen“, sagt Selke. Und meint damit: sich trotz vorangegangenem Fehlschuss nicht wegducken, sondern sich gerademachen und den Elfmeter versenken. Nervenstark!
Wie wäre es wohl bei Manfred Kaltz, dem erfolgreichsten Elfmeterschützen der HSV-Historie, gewesen? Die Liste der Doppelelfer (siehe unten) gibt darüber leider keinen Aufschluss. Bei allein sechs der 15 HSV-Doppel-Elfer war der Außenverteidiger beteiligt. Beim ersten Mal – 1978 gegen Borussia Mönchengladbach – überließ er trotz erfolgreicher Erst-Ausführung den zweiten Schuss seinem Mitspieler Kevin Keegan, der prompt scheiterte. Bei den nachfolgenden fünf Gelegenheiten blieb Kaltz deshalb stets auch beim zweiten Schuss am Ball – mit 100-prozentiger Erfolgsquote. Eiskalt(z)! Vermutlich hätte ihn auch ein Fehlschuss im ersten Versuch nicht aus der Ruhe gebracht.
Selke: "Der Support der Jungs war da"
Torwart Jörg Butt, ebenfalls ein höchst souveräner Vollstrecker vom Punkt, handelte da anders. Im Sommer 1999 war ihm das Kunststück gelungen, binnen drei Monaten und saisonübergreifend in zwei aufeinanderfolgenden HSV-Spielen im Volksparkstadion zwei Strafstöße zu verwandeln. Jeweils gegen den VfB Stuttgart, jeweils gegen seinen österreichischen Torwart-Kollegen Franz Wohlfahrt – die ersten und bis heute einzigen Bundesliga-Doppelpacks eines Torhüters. Die dritte Möglichkeit zum Doppelschuss indes nahm Butt nicht wahr. Am Ostersonnabend 2001 scheiterte er an Kölns Markus Pröll. Als 18 Minuten später der zweite Strafstoß-Pfiff ertönte, blieb „Buttbuttbutt“ jedoch in seinem Kasten und ließ Sergej Barbarez den Vortritt. Ein Schützen-Wechsel ohne Erfolg: Der Bosnier jagte den Ball an den Pfosten.

Einen Schützenwechsel hätte es auch am vergangenen Sonntag geben können, doch Selkes Selbstvertrauen und die Unterstützung der Mitspieler trieben den 30-Jährigen an. Was sein erster Gedanke gewesen sei, als er sah, dass Selke sich erneut den Ball schnappt, wurde Daniel Heuer Fernandes nach dem Spiel gefragt. "Dass er ihn reinmacht", lautete die ebenso trockene wie zutreffende Antwort des Keepers, der also von der anderen Seite des Spielfeldes zusah, wie Hamburgs erfolgreichster Torschütze der Saison erneut anlief - und dieses Mal zum 1:1-Ausgleich traf.
Was für ein Nervenkitzel! „Mir war klar, dass ich den zweiten Elfer auch schießen werde und der Support der Jungs war auch sofort da“, berichtete Selke anschließend. „Dompe hat gesagt: Davie, hau das Ding rein!“ Und auch Coach Merlin Polzin war optimistisch: "Davie hat die absolute Überzeugung, daher war ich mir sicher, dass er den zweiten Elfer reinschießt." Und das tat der Eismann dann auch. Flach in die Mitte. Und sorgte so in Spiel Nummer 2.092 nicht nur für einen späten Punktgewinn, sondern auch für eine echte Premiere. Die Geschichten, die nur der Fußball erzählen kann, sind eben auch nach so vielen Jahrzehnten noch immer nicht auserzählt.
Selke als Premieren-Schütze: Die doppelte Elfmeter-Historie des HSV:
Datum | Partie | Elfmeterschützen |
---|---|---|
03.12.1966 | HSV - Bor. Dortmund 1:1 | Sandmann Latte (41.), Pohlschmidt daneben (43.) |
12.08.1978 | HSV - M'gladbach 3:0 | Kaltz Tor (3:0, 22.), Keegan gehalten (64.) |
19.01.1980 | HSV - VfL Bochum 3:1 | Reimann gehalten (15.), Hrubesch Tor (2:0, 55.) |
16.04.1981 | HSV - Arm. Bielefeld 4:1 | Kaltz Tor (2:0, 42.), Kaltz Tor (4:0, 72.) |
26.09.1981 | HSV - MSV Duisburg 7:0 | Kaltz Tor (1:0, 13.), Kaltz Tor (6:0, 72.) |
17.04.1982 | HSV - Arm. Bielefeld 3:1 | Kaltz Tor (1:1, 45.), Kaltz Tor (2:1, 63.) |
28.05.1983 | HSV - Bor. Dortmund 5:0 | Kaltz Tor (4:0, 69.), Kaltz Tor (5:0, 73.) |
21.05.1988 | HSV - Bor. Dortmund 4:3 | Kaltz Tor (1:2, 66.), Kaltz Tor (3:3, 81.) |
19.12.1998 | HSV - 1. FC Nürnberg 2:0 | Gravesen Tor (1:0, 54.), Grubac Tor (2:0, 90.) |
22.05.1999 | HSV - VfB Stuttgart 3:1 | Butt Tor (2:1, 40.), Butt Tor (3:1, 45.) |
21.08.1999 | HSV - VfB Stuttgart 3:0 | Butt Tor (2:0, 55.), Butt Tor (3:0, 79.) |
15.04.2001 | HSV - 1. FC Köln 1:1 | Butt gehalten (53.), Barbarez Pfosten (71.) |
28.04.2018 | VfL Wolfsburg - HSV 1:3 | Wood Tor (1:0, 43.), Kostic gehalten (90.+3) |
30.01.2020 | HSV - 1. FC Nürnberg 4:1 | Hinterseer Tor (2:0, 28.), Kittel Tor (3:1, 67.) |
16.02.2025 | SSV Regensburg - HSV 1:1 | Selke gehalten (53.), Selke Tor (1:1, 84.) |
Quelle: Broder-Jürgen Trede