Saison
30.10.23
Zwischen Betzenberg und Bielefelder Alm
Nach dem Zweitliga-Topspiel beim FCK sind die Rothosen am morgigen Dienstag in der 2. Runde des DFB-Pokals bei Arminia Bielefeld gefragt. Ein HSVer steht dabei besonders im Fokus: Torhüter Matheo Raab.
Rund 70 Stunden nach dem spektakulären 3:3-Remis im Zweitliga-Topspiel beim 1. FC Kaieserslautern ist der Hamburger SV am morgigen Dienstagabend schon wieder in einem Pflichtspiel gefordert: In der 2. Hauptrunde des DFB-Pokals sind die Rothosen um 20.45 Uhr beim Drittligisten Arminia Bielfeld zu Gast (ab 20.30 Uhr live im HSVnetradio). Vom Betzenberg auf die Bielefelder Alm, lautet gegenwärtig also das Motto der Walter-Mannen, die am heutigen Montag eine kurzknackige Trainingseinheit am Volksparkstadion absolvierten und anschließend in Richtung Ostwestfalen, genauer gesagt Klosterpforte in Harsewinkel, aufbrachen. Dort erfolgt am morgigen Dienstag noch ein Anschwitzen, ehe am Abend in der SchücoArena das Flutlicht angeknipst wird.
Im Fokus steht dieser Tage dabei zwangsläufig Torhüter Matheo Raab. Der 24-jährige Schlussmann, der zur vergangenen Saison 2022/23 vom 1. FC Kaiserslautern zum HSV wechselte, erlebte am vergangenen Wochenende die Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte und steht als DFB-Pokal-Torwart für die aktuelle Spielzeit 2023/24 nun am morgigen Dienstag zum dritten Mal in einem HSV-Pflichtspiel zwischen den Pfosten. Während Raab mit dem FCK hochemotionale fünf Jahre zwischen 2017 und 2022 verbindet, markiert der HSV seine zweite Profistation, bei der er in den vergangenen rund anderthalb Jahre als Keeper für seine Entwicklung bereits enorm viel mitnehmen konnte.
Prägende Zeit durch schwere Verletzung
Wie besonders die eigene Gefühlslage vor diesen speziellen Hintergründen aussieht, ließ Raab bereits vor einigen Tagen im HSV-Podcast „Pur der HSV“ durchblicken. In dem Audioformat sprach der gebürtige Mittelhessen, der als introvertierter Typ ungern im Mittelpunkt steht, zu seiner eigenen Überraschung fast zwei Stunden über seinen schon jetzt bewegten Karriereweg, der Ende 2017 nach einem Schienbeinbruch mit anschließenden Komplikationen fast schon beendet schien. „Die Ärzte haben damals nicht damit gerechnet, dass ich noch einmal joggen, geschweige denn Fußball spielen kann“, erklärt Raab. „Ich habe erst nach einer Zeit verarbeitet, was alles hätte passieren können, dass ich froh sein kann, überhaupt noch mein Bein zu haben und wieder normal laufen zu können.“
Entgegen der Einschätzung der Ärzte schafft der Torwart nach einer Odyssee an Operationen zunächst ein kaum für möglich gehaltenes Comeback und dann von der zweiten Mannschaft der „Roten Teufel“ den Sprung in den Profibereich. Dort angekommen prägt ihn der Umgang mit der existenzbedrohenden Verletzung umso mehr und verändert sein mentales Mindset nachhaltig, wie er verrät: „Als ich die ersten Schritte im Profifußball gegangen bin, war ich anfangs noch ziemlich nervös und angespannt. In der Zeit meiner schweren Verletzung habe ich mir geschworen: Du wirst nie wieder Angst haben, Fehler zu machen. Ich konnte damit den Druck rausnehmen, jemanden etwas beweisen zu müssen oder keine Fehler machen zu dürfen. Das hat mir sehr geholfen.“
Herausforderung HSV als Herausforderer
Mental gestählt haben den 1,86 Meter großen Schlussmann dann auch die ersten beiden Jahre im Profibereich. In der Spielzeit 2020/21, in der er erstmals Einsätze sammelt, kämpft der 1. FC Kaiserslautern nicht nur um den Klassenerhalt, sondern auch die wirtschaftliche Existenz. In der Folgesaison 2021/22 steigt Raab dann zur Nummer 1 auf und feiert über die Relegation den Zweitliga-Aufstieg und die damit verbundene Rückkehr des Traditionsclubs auf die Bildfläche der besten 36 Fußballclubs in Deutschland. Für Raab selbst ist in dieser besonderen Spielzeit bereits im Winter klar, dass er sich verändern möchte. Als er dann nach dem emotionalen Saisonfinale und den anschließenden Feierlichkeiten vom Interesse des HSV erfährt, ist er sofort angefixt: „Es war für mich nicht greifbar, dass der HSV gerade angefragt hat. Ich hatte nie Berührungspunkte mit Hamburg oder dem Norden, aber als kleiner Junge bin ich mit meinem Vater damals auch in die nächste Kneipe gefahren, um Premiere zu gucken. Und dort lief immer der HSV“, spricht Raab im Podcast über die Strahlkraft der Raute. „Für mich war klar: Ich gehe auf jeden Fall diesen Schritt, auch wenn ich anfangs mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht spielen werde.“
Als Herausforderer hinter der Nummer 1 Daniel Heuer Fernandes beginnt für „Matze“, wie er in Mannschaftskreisen genannt wird, im Sommer 2022 beim HSV ein neues Kapitel unter der Führung eines alten Bekannten: Torwarttrainer Sven Höh, der bereits beim 1. FC Kaiserslautern zu seinen größten Förderern zählte. Der heute 39-Jährige hat zu jener Zeit längst auch auf den Trainingsplätzen am Volkspark sein hochprofessionelles Torwarttraining implementiert und bringt Raab schnell ans Limit, wie dieser rückblickend eingesteht: „Sven ist ein Perfektionist und hat Vollgas gegeben. Das Training hatte ein komplett anderes Pensum für mich. Es hat Monate gedauert, bis ich mich an die Intensität gewöhnt habe. Ich war körperlich am Ende und musste zugleich auch im Teamtraining in den Spielformen Leistung bringen.“ Und dieses Teamtraining hatte es unter Cheftrainer Tim Walter, dessen Spielphilosophie einen mitspielenden Torwart vorsieht, nicht weniger in sich. „Die Torhüter müssen im System des Trainers kicken können. Du spielst mit wie ein Feldspieler. Für mich war das zu Beginn komplett überfordernd. Ich kannte das in dieser Form nicht. Es war eine riesige Umstellung, aber ich hätte diesen Aspekt des Spiels auch nirgendwo anders gelernt. Das nimmt mir keiner mehr.“
Lernwilliger Pokaltorwart
Lernen, lernen, lernen und das eigene Torwartspiel so auf ein neues Level heben – für Matheo Raab geht dieser Plan bisher voll auf, sodass er den Wechsel zum HSV im Nachhinein als absolut positiv bewertet: „Ich habe es bis jetzt keine einzige Sekunde bereut, denn es ist unfassbar, was ich in den anderthalb Jahren lernen und mitnehmen konnte. Das soll aber erst der Anfang sein. Ich will mich damit nicht zufriedengeben, denn dann wäre ich als Sportler an der falschen Stelle. Ich habe vielmehr noch mehr den Ehrgeiz, in den Kasten zu wollen.“
Am morgigen Dienstagabend wird er im Pokalspiel gegen Arminia Bielefeld genau dort stehen. Denn Tim Walter ernannte den 24-Jährigen im Vorfeld der Saison zum DFB-Pokal-Torwart. „Ich habe mich sehr über diese Entscheidung gefreut. Ich möchte ihm und der ganzen Mannschaft das Vertrauen zurückzahlen, indem ich meine Leistung bringe und der Mannschaft helfe“, betont der gebürtige Hesse und blickt voller Vorfreude auf Bielefeld: „Pokalspiele sind immer etwas ganz Besonderes. Es herrscht eine besondere Atmosphäre, es muss einen Gewinner geben. Ich freue mich sehr darauf!“ Dass er in solchen Atmosphären bestehen und damit den Spagat zwischen Betzenberg und Bielefelder Alm bewältigen kann, zeigte Raab in der 1. Hauptrunde des DFB-Pokals, als sich die Rothosen mit 4:3 nach Verlängerung an der Hafenstraße durchsetzten. Wiederholung, Weiterkommen und damit weitere Pflichtspiele für Raab erwünscht.