
Trainingslager
12.07.19
"Früher sind wir über Zäune geklettert"
Im Interview mit HSV.de spricht der 23-jährige Neuzugang über seine Zeit auf dem Bolzplatz, die Entwicklung auf verschiedenen Positionen und seine Vorbilder.
Im Pass von Jeremy Dudziak steht Hamburg als Geburtsort. Doch die Hansestadt war zu Beginn seines Lebens eigentlich nicht wirklich die Heimat des heute 23-Jährigen. „Ich bin eher ein Zufalls-Hamburger“, bestätigt er im Gespräch mit HSV.de noch einmal die bekannte Geschichte. Seine Mutter war damals zu Besuch bei seiner Patentante, als er früher als erwartet das Licht der Welt erblicken wollte. Heute ist Hamburg die Wahlheimat des Mittelfeldspielers, der im Sommer 2015 zunächst zum Stadtrivalen des FC St. Pauli wechselte und nun beim HSV seinen fußballerischen Karriereweg weiterverfolgen möchte.
Aufgewachsen ist Dudziak allerdings im Pott. In Duisburg Beeck wurden früh die Weichen für den heutigen Weg gelegt. Wie es in seiner Jugend auf der Straße zuging, was er vom Bolzplatz bis heute übernommen hat und wie er unter Jürgen Klopp und anderen Trainern zum flexiblen Spieler wurde, erklärt Dudziak im Interview mit HSV.de.
Jeremy, du bist eher ungewollt in Hamburg geboren, aufgewachsen bist du in Duisburg und hast dort das Fußballspielen bei Viktoria Beeck begonnen. Wann ging es damit los und wie hat sich das Spielen im Verein für dich ergeben?
Dudziak: Ich kann mich noch daran erinnern, wie es damals los ging: Ich saß mit meiner Mutter auf der Couch und zufällig lief beim Rumdrücken auf der Fernbedienung ein Fußballspiel im Fernsehen. Da habe ich gesagt: ‚Halt mal an‘. Dann habe ich das Spiel eine Zeit lang verfolgt und fand es total faszinierend. Im Anschluss habe ich zu meiner Mama gesagt, dass ich gerne mal Fußballspielen möchte. Da war ich fünf Jahre alt.
Hat sie deinem Wunsch dann gleich entsprochen?
Sie hat mich schon kurze Zeit später zum Verein gebracht. So hat alles schon sehr früh angefangen.
Bist du zusätzlich dann auf der Straße oder auf dem typischen Bolzplatz unterwegs gewesen?
Na klar. Früher war das ja nicht wie heute, dass man schon mit elf Jahren wie mein Bruder den ganzen Tag mit dem Handy oder iPad rumläuft. Wir sind damals mit dem Ball in der Hand durch die Straßen oder über den Schulhof gelaufen. Nach jeder Pause kamen wir vollgeschwitzt rein. Nach der Schule hast du deinen Freund immer mit dem Ball abgeholt und bist zum Fußballplatz gegangen oder über die Zäune geklettert, um spielen zu können. Selbst, wenn es abgeschlossen war.
"Ich habe mehr auf der Straße gespielt als im Verein"
Musste dich deine Mutter auch mal suchen, weil du noch irgendwo gekickt hast?
Ab und zu gab es schon mal Ärger, weil ich später nach Hause gekommen bin als vereinbart.
Mit wem warst du damals unterwegs?
In Beeck, dem Stadtteil, aus dem ich komme, war es sehr gemischt – von Nationalität bis Größe. Es waren Kleinere dabei, oder auch die älteren Brüder. Es war wirklich ein bunter Mix.
Obwohl du so früh im Verein angefangen hast, würdest du dich als Straßenfußballer bezeichnen?
Definitiv. Ich habe mehr auf der Straße gespielt als im Verein. Damals hatten wir ja nicht jeden Tag Training, sondern nur zwei bis dreimal in der Woche.

Du hast mal angegeben, dass Zinedine Zidane eines deiner Vorbilder ist. Der hat 2006 seine letzte große WM gespielt, da warst du 11 Jahre alt. Hast du ihn da schon komplett verfolgt oder kam das erst später?
Ich kann mich noch genau an die WM 2006 erinnern: Ich war in Beeck, bin immer mit dem Fahrrad durch unseren Stadtteil gefahren und habe die Spiele dann bei meinen Freunden geguckt. Zum WM-Finale war ich in einem Sommercamp. Mit allen Leuten aus dem Camp haben wir das Finale auf einer großen Leinwand geschaut. Italien gegen Frankreich. Wie Zidane da gespielt hat war brutal. Der Typ war einfach weltklasse.
An wen hast du dich ansonsten orientiert?
An Andres Iniesta. Und natürlich darf man auch Messi nicht vergessen. Der steht mittlerweile ganz oben.
War der Grund der Begeisterung, weil du im Verein die gleiche Position gespielt hast?
In der Jugend war ich immer der Zehner. Deswegen habe ich mich auch an denen orientiert, die auch im Zentrum gespielt haben. Bei Iniesta war es sein Spielstil. Ich mag Spieler, die kurze, schnelle Bewegungen machen und sich viel drehen. Bei Barcelona haben damals fast alle so gespielt, aber er hat noch einmal eine besondere Finesse mit seinen Dribblings oder einem letzten tödlichen Pass reingebracht.
Hast du die Genannten auf der Straße auch selber gespielt?
Ein Trikot hatte ich leider nie, aber wenn wir die WM nachgespielt haben im Eins-gegen-eins oder Alle-gegen-alle auf ein Tor, war ich entweder Iniesta, Zidane oder Ronaldinho. Ball hochschießen und los ging es.
Über Schalke 04 bist du dann bei Borussia Dortmund im Nachwuchsleistungszentrum groß geworden. Als kreativer Mittelfeldspieler bist du im Profibereich dann unter Jürgen Klopp allerdings zum Linksverteidiger umgeschult worden. Man kann sich vorstellen, dass das nicht unbedingt Jubelstürme ausgelöst hat. Wie hast du diese Idee zunächst aufgenommen?
Wenn man aus dem vorderen Zentrum nach hinten links beordert wird, ist das schon eine Umstellung. Der Ausgangspunkt war zunächst die Nationalmannschaft. Da habe ich schon in der U15 und U16 mehrmals hinten links gespielt. Und ich habe rausgefunden: So schlecht war die Position gar nicht.
Was hat dich daran gereizt?
Man ist am Spielaufbau wesentlich mehr beteiligt. Man hat alles vor sich und kann sich immer wieder mit nach vorne einschalten. Bei Seitenwechseln hat man oft Platz, um anzudribbeln. Im Zentrum hast du wesentlich weniger Platz.
Ist es etwas anderes, wenn ein Trainer wie Jürgen Klopp einem den Positionswechsel nahelegt, oder reflektiert man das auch selber?
Wenn ein Trainer dieser Klasse das sagt, schaut man auch selber darauf und fragt sich, ob man das wirklich kann.
Beim DFB bist du unter Frank Wormuth im selben Jahr dann bei der U20-WM als offensiver Außenspieler eingesetzt worden.
Das war schon ein bisschen ungewöhnlich. Bei Kloppo habe ich zuerst auch im Zentrum gespielt. Dann hat er aber irgendwann gesagt, er sieht mich hinten links. Bei der Nationalmannschaft war es genau anders herum. Es hatte sich sozusagen gedreht.
Wann hast du gemerkt, dass deine Flexibilität eine deiner Stärken ist?
Das kam erst ein bisschen später. Ich wusste schon immer, dass ich einige Positionen spielen kann. Gefestigt hat sich das aber damals noch nicht. Irgendwann habe ich ja sogar hinten rechts gespielt.
Das war in deiner Zeit beim FC St. Pauli. Wie ist es dazu gekommen?
Das kam eher durch einen Zufall zustande. Beim Aufwärmen hat sich unser Rechtsverteidiger verletzt und wir hatten keinen Spieler, der diese Position spielen konnte. Da hat der Trainer einfach gesagt, dass ich dort spielen soll. Das war in Duisburg. Danach kam er zu mir und sagte: ‚Hast du super gemacht, dazu noch eine Vorlage gegeben.‘ Ab da war ich immer wieder eine Option für ihn.
Wie groß war die Umstellung?
Nicht wirklich groß. Ich muss nur koordinativ etwas anders arbeiten. Da ich Linksfuß bin, kann ich von rechts besser in die Mitte ziehen und dann einen Chip-Ball hinter die Kette spielen, oder mit einem Dribbling nach Innen den Abschluss suchen.
Wie bereitest du dich auf so etwas vor?
Es kommt immer darauf an. Bei Pauli musste ich Woche für Woche schauen, welche Position ich spiele. Meistens schaue ich mir dann ein paar Videos der Gegner an, sobald ich weiß, auf was ich schauen muss.
Beim HSV kommst du wieder im Mittelfeld zum Einsatz. Bist du froh darüber?
Ich denke, dort kommen viele Aspekte der anderen Positionen am besten zur Geltung.
Was hast du aus deiner Zeit vom Bolzplatz mitgenommen, das du heute noch in dir trägst?
Auf dem Bolzplatz lernt man schnell, dass man nichts geschenkt bekommt. Zudem, dass man gewinnen muss. Wenn du verlierst, warst du der Looser. Das war damals so und ist heute auch noch so. Du musst den unbedingten Siegeswillen zeigen.
Was würdest du jungen Spielern heute raten?
Jeder sollte sich ein Ziel setzen und einfach alles dafür geben - jeden Tag aufs Neue. Man sollte sich immer darauf fokussieren. Für mich gab es von Anfang an nichts anderes. Ich habe schon als kleines Kind gesagt, ich werde Profifußballer. Mit unbedingten Willen kann man viel erreichen.