Verein
07.03.24
"Hier steht gerade viel auf dem Spiel"
Cornelius Göbel, Direktor Fans, Kultur und Identität beim HSV, spricht über die Konflikte einer Fangruppierung mit der Polizei, über Hintergründe, Begleiterscheinungen und Folgen.
Die jüngsten beiden Heimspiele des HSV waren abseits der sportlichen Wettkämpfe auf dem Rasen begleitet von gegen die Polizei gerichteten Protesten auf der Nordtribüne. Folgen waren öffentliche Reaktionen aus Polizeikreisen, eine Stellungnahme des HSV und mediale Berichterstattungen.
Beim Heimspiel gegen den VfL Osnabrück gab es wie schon zuvor beim Spiel gegen die SV Elversberg Ultra-Proteste auf der Nordtribüne gegen die Polizei. Was hältst du von ACAB-Bannern und -Rufen, Hass-Plakaten und wie nun zuletzt einem brennenden Hemd einer Polizeiuniform?
Cornelius Göbel: In Paragraph 3 unserer Stadionordnung ist klar geregelt, dass jede Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit einen schwerwiegenden Verstoß darstellt. Auch wenn der Inhalt der großen Choreo („Kein Freund – kein Helfer – ACAB – Ganz Hamburg hasst die Polizei“) keine Straftat darstellt, überschreitet es unsere selbstauferlegten Prinzipien, die auch unsere aktive Fanszene eingebracht und geprägt hat. Nämlich die, dass das Stadion keine Plattform für Hassbotschaften sein darf. Das Banner mit dem eingeschlagenen Helm sowie das öffentliche Verbrennen einer Uniform stellen hingegen sehr wohl einen Straftatbestand dar, den wir selbstverständlich noch weniger akzeptieren können. Mal ganz abgesehen davon, dass es wohl keine Erklärung benötigt, dass das Abbrennen von Kleidungsstücken jeglicher Art vor einem prall gefüllten Fanblock eine erhebliche Gefahr für sehr viele Menschen darstellt.
Wie kommen solche Hass-Botschaften überhaupt ins Stadion? Werden die Banner vorher nicht kontrolliert?
Wir haben über Jahre eine stabile Beziehung zu unserer Anhängerschaft aufgebaut und bis zu den jüngsten zwei Spieltagen gab es auch keinen Anlass, um an dem auf Vertrauen basierenden Verfahren der Choreoanmeldung etwas zu ändern. Schließlich sehen wir fast jedes Wochenende in mühevoller Arbeit und auf ehrenamtlicher Basis entwickelte, begeisternde Choreos, die das Stadionerlebnis im Volksparkstadion als auch auswärts so besonders machen.
Wir haben aufgrund der Vorkommnisse in Bergedorf, bei denen die Bundespolizei mehrere hundert HSV-Fans unverhältnismäßig zum Teil über Stunden festgesetzt hat, damit gerechnet, dass anschließend eine Choreo als Protestmittel zum Einsatz kommen wird. Dabei wurden die gemeinsamen roten Linien nun deutlich überschritten. Unsere Erwartungshaltung ist klar – so kann und darf es nicht weitergehen. Wir setzen weiterhin auf einen Dialog, der einen Schritt aufeinander zugeht, und werden im Sinne des HSV sowie des Stadionerlebnisses Lösungen finden.
Was spricht aus deiner Sicht für solch einen Dialog?
Ganz grundsätzlich muss gesagt werden, dass gewaltfreier Protest ein demokratisches Grundrecht ist, das wir nicht einschränken, ganz im Gegenteil. Da das ein Grundprinzip gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse ist, können wir froh sein, wenn junge Menschen sich grundsätzlich politisch beteiligen und sich Gehör verschaffen. Das ist nebenbei ein Kernelement der Fanarbeit: Demokratisches Handeln fördern und fordern.
Die organisierte Fanszene beim HSV steht eigentlich für viele vorbildliche Haltungsthemen und Botschaften: u.a. Diversität, den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung, für respektvollen Umgang. Wie passt das dann aber zu diesen radikalen Botschaften?
Dies stellt nur vordergründig einen Widerspruch dar. Subkulturen zeichnen sich alle dadurch aus, Autoritäten in Frage zu stellen, ihnen skeptisch bis ablehnend gegenüberzustehen. Hinzu kommt in unserem speziellen Fall, dass im Gegensatz zu den meisten anderen Subkulturen Fußballanhänger beim Ausleben ihrer Passion ständig mit der Polizei als die Verkörperung von Autorität ganz konkret zu tun haben. Hier ergeben sich dann natürlich eine Menge von möglichen Konfliktlinien. Spricht man mit Teilen der Anhängerschaft, wissen viele von negativen Erfahrungen zu berichten. Diese reichen von Erlebnissen, die als unfair wahrgenommen wurden, oder sogar Situationen mit ganz konkreten Gewalterfahrungen. Dies ist einer von vielen Parametern, hinzu kommen gruppendynamische Prozesse, durch die eine Art Radikalisierungseffekt einsetzt, bei dem am Ende ein verfestigtes Feindbild Polizei stehen kann.
Erklärt das auch diese maximale Feindseligkeit?
Um eine Sache vorweg ganz deutlich zu sagen: Bei der Beantwortung dieser Frage geht es um Kontextualisierung und nicht um Legitimierung. Dieser Peak in der Feindseligkeit gegenüber der Polizei, den wir gerade erleben, entsteht nicht im luftleeren Raum. Es ist eine Reaktion auf den Polizeieinsatz in Bergedorf nach unserem Spiel in Rostock, bei dem ca. 890 Personen zum Teil über sechs Stunden in einem völlig überfüllten Zug unter Zwang festgehalten wurden. Im Vorfeld dieser Maßnahme stehen Straftaten, die zweifelsohne von HSV-Fans begangen wurden. Ein Großteil der HSV-Fans im Zug war aber in keiner Weise an diesen Straftaten beteiligt. Wir haben unabhängig voneinander sehr viele Zuschriften mit Erfahrungsberichten erhalten und mit diversen Menschen gesprochen. Ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen, wird unisono von unzumutbaren hygienischen Zuständen, mangelnder Versorgung, kollabierenden Personen etc. berichtet. Diese negativen Erfahrungen haben dazu geführt, dass bei vielen HSV-Fans ein starkes Gefühl von Wut und Unverständnis entstanden ist.
Ist das ein HSV-Phänomen?
Der Konflikt zwischen Anhängerschaften und Polizei ist ein Phänomen, welches wir nicht nur in Hamburg beobachten, sondern das an vielen weiteren Standorten sichtbar wird. Grundsätzlich scheint es, dass nach der Corona-Pandemie das Vertrauen der Gesellschaft in staatliche Organisationen und Infrastruktur schwer gelitten hat bzw. leidet. Es ist mit Blick darauf auch globalgesellschaftlich unsere Verantwortung, uns diesen Themen differenziert zu widmen und gemeinsam Lösungsansätze zu erarbeiten. Wir stellen darüber hinaus fest, dass die Anzahl an repressiven Maßnahmen gegenüber Fußball-Fans standortübergreifend steigt.
Kannst du mal eine fachkundige Einschätzung abgeben, wer im Stadion alles hinter solchen Protestaktionen steht? Und wie viele Personen stecken auf der Nordtribüne hinter diesen Protesten?
Es ist schwer zu definieren, wie viele Personen aktiv hinter dieser Art des Protestes stehen, und es ist doch völlig logisch, dass bei einer kritischen Begleitung gewisse Reflektionsprozesse innerhalb einer Anhängerschaft geführt werden. Wir haben viele Rückmeldungen von HSV-Fans und Gruppen bekommen, die mit der Rhetorik der Protestchoreo nicht einverstanden sind, und von Personen aus dem Bereich der Nordtribüne, die mit der aktiven Einbindung in diese Choreografie ein Problem hatten.
Welches Verhältnis hat der HSV zur Polizei?
Als Veranstalter von Spieltagen haben wir mit unterschiedlichen Stakeholdern zu tun und pflegen mit allen einen in höchstem Maße professionellen und konstruktiven Austausch. Das gilt natürlich auch für die Polizei. Grundsätzlich sind wir davon überzeugt, dass wir im gemeinschaftlichen Miteinander den höchstmöglichen Anspruch eines Spieltages erreichen können.
Darüber hinaus organisieren wir regelmäßige Sensibilisierungsworkshops für angehende Polizisten, um Verständnis für die verschiedenen Perspektiven hier im Stadion zu schaffen. Vor einigen Wochen war zudem unser Einsatzleiter der Polizei im Fan- und Gremienrat zu Gast, um auf Augenhöhe über die Anforderungen eines Spieltages zu sprechen und Austausch zu ermöglichen. Und wir hatten über Jahre keine vergleichbaren Themen dieser Größenordnung im Volkspark.
Und welche Rolle spielt der HSV nun in diesen Konflikten zwischen Ultraszene und Polizei?
Wir sehen uns in der Verantwortung, dass die Werte, die wir als HSV für uns beanspruchen, auch an Spieltagen in allen Teilen des Stadions und von allen berücksichtigt werden. Aktuell bilden die Spieltage des HSV eine Plattform für einen Konflikt für Teile der Anhängerschaft mit der Polizei. Wir erachten es als unsere Aufgabe im Miteinander, eine Befriedung des Konflikts herbeizuführen, dazu werden wir mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen Gespräche führen.
Wie kann die zuletzt wahrgenommene Spirale der Eskalation beendet werden?
Ganz grundsätzlich darf es niemals zu einem Beziehungsabbruch in die eine sowie die andere Richtung kommen. Der HSV hat in seiner Vergangenheit schon schmerzlich die Erfahrung gemacht, was es bedeutet, keinen Zugang zu Teilen der Anhängerschaft mehr zu haben. Warum? Weil die Dinge sich dann komplett verselbstständigen, sich in rasender Geschwindigkeit radikalisieren und wir dann schnell in eine Situation geraten, in der wir z.B. keinen Einfluss mehr auf das Spieltagsgeschehen haben. Zuschauerteilausschlüsse bzw. Blocksperren sind nur ein mögliches Szenario. Gleiches gilt auch für unser Verhältnis zur Polizei. Auch hier haben wir die Aufgabe, möglichst strapazierfähige Beziehungen mit vertrauensvollem Austausch zu haben. Wir setzen darauf, dass auch in der Fanszene nun die Erkenntnis einsetzt: Hier steht gerade viel auf dem Spiel. Ab einem gewissen Punkt können wir die Privilegien nicht mehr aufrechterhalten, dann entscheiden andere. Wir werden alles daran setzen, an die Eigenverantwortung zu appellieren und daran zu erinnern, wie schnell die schwer erarbeiteten Privilegien verloren gehen können. Das sollte niemand riskieren wollen.
Wie geht der HSV konkret mit den gegen Osnabrück begangenen Verstößen gegen die Stadionordnung um?
Die Spielregeln sind allen klar. Bei so massiven Verstößen ist ein Stadionverbotsverfahren die logische, unumgängliche Konsequenz. Aber: Genauso wie bei anderen Verstößen gegen die Stadionordnung sind wir darauf angewiesen, den oder die Täter auch identifizieren zu können. Wir werden bestmöglich zur Ermittlung von Straftätern beitragen.
Danke für das Gespräch.