
Interview
27.12.18
Aaron Hunt: "Wir sind ein richtiges Team"
Im Interview mit HSV.de blickt Kapitän Aaron Hunt auf das geschichtsträchtige Jahr 2018 zurück, erklärt die Entwicklung der Mannschaft in der 2. Bundesliga und nennt seine Wünsche für das neue Jahr.
Der HSV schloss das Jahr 2018 als Tabellenführer der 2. Bundesliga ab. Ein sehr versöhnliches Ende eines historischen Jahres, das im Mai leider den ersten Abstieg der Clubgeschichte bescherte, aber ebenso einen verheißungsvollen Umschwung mit einer sehr jungen Mannschaft im zweiten Kalenderabschnitt einläutete. Einer, der alle Ereignisse hautnah miterlebt hat und unter den jungen Wilden einer der Leitwölfe darstellt, ist Aaron Hunt. Der Kapitän verlängerte nach den schwersten Tagen der Vereinsgeschichte bewusst seinen Vertrag bei den Rothosen, wie er im Gespräch mit HSV.de verrät, und avancierte zum Leader in der bisher gespielten Zweitliga-Saison. Zudem blickt der 32-jährige Mittelfeldspieler im Interview auf das ereignisreiche Jahr zurück, erklärt die Entwicklung der Mannschaft und gibt einen Ausblick auf die kommenden Aufgaben.
Aaron, zur Weihnachtszeit und zum Ende des Jahres blicken viele Menschen auf das Erlebte im Jahr zurück. Bist du grundsätzlich jemand, der in ruhigen Stunden das Vergangene noch einmal bewusst intensiver Revue passieren lässt?
Hunt: In der Form mache ich das nicht. Es gibt ein paar besondere Momente, die in diesem Jahr passiert sind, die generell im Kopf stecken. Diese sind immer mal wieder präsent. Grundsätzlich bin ich aber niemand, der sich lange mit der Vergangenheit aufhält. Was passiert ist, ist passiert. Ich schaue lieber nach vorn.
Das heißt, du nimmst dir eher etwas für das neue Jahr vor?
Es gibt eine Menge Leute, die sich mit dem neuen Jahr etwas vornehmen. Da geht es dann zum Beispiel um Ernährungsumstellung oder solche Dinge. Bei den meisten ist das aber Mitte Januar schon wieder vorbei (lacht). Das habe ich in der Jugend sicher auch gemacht. Ansonsten bin ich aber keiner, der sich für das neue Jahr besondere Sachen vornimmt.
Warum nicht?
Es ist für mich eher ein ständiger Prozess. Man kriegt regelmäßig Aufgaben im Leben, die man gar nicht vorhersehen kann, die unerwartet passieren. Deshalb ist ein neues Jahr auch schwer zu planen.
Das letzte Jahr lief für uns alle nicht wie geplant. Wir wollen dennoch kurz zurückblicken. Wie denkst du mit einem halben Jahr Abstand über das Ende der letzten Saison? Konntest du alles verarbeiten oder ploppt das manchmal noch auf?
Es ist immer noch eine Situation, an die ich mich nicht gerne erinnere. Ein Abstieg tut immer weh. Das will kein Fußballer erleben und ich hätte auch nie gedacht, dass mir das mal passiert. Es hatte sich aber in den letzten Jahren angedeutet. Wir waren immer zu knapp über dem Strich. In der letzten Saison hat es am Ende nicht gereicht. Da hat uns dann auch ein Ticken das Glück gefehlt.
Woran denkst du da konkret?
Ich denke da immer an das Spiel in Frankfurt, in dem Tatsu beim Tor gefühlt nur mit seiner Hand im Abseits war. Wenn wir das Tor machen, steigen wir vielleicht am Ende nicht ab. Im Fußball sind es oft diese Kleinigkeiten, die entscheiden. Deshalb ist es müßig, darüber nachzudenken und sich damit zu beschäftigen, denn es zieht einen nur runter. Ich habe ziemlich schnell den Schalter umgelegt.
Und deinen Vertrag beim HSV verlängert. Wie denkst du heute darüber?
Es fühlt sich immer noch gut an. Denn wir haben eine spannende Aufgabe. Ein Grund, warum ich hiergeblieben bin, ist, dass wir etwas mit dem Verein schaffen können, nämlich direkt wieder aufzusteigen. Das hat mich von Anfang an mehr angespornt, als die Tatsache, dass wir in der 2. Liga spielen.
Du hast im Sommer sicher durchgespielt, wie es sich beim HSV entwickeln könnte. Decken sich die Gedanken von damals mit dem, was jetzt im letzten halben Jahr passiert ist?
Ich kann nicht sagen, dass ich alles so erwartet habe. Wir hatten zum Beispiel einen Trainerwechsel. Das ist nie schön für die Spieler, denn ein Trainerwechsel bedeutet auch gleichzeitig immer, dass wir als Mannschaft nicht 100prozentig funktioniert haben. Das hatte ich mir anders vorgestellt, wobei ich das Sportliche ansonsten schon so erwartet habe.
Meinst du damit die sportliche Entwicklung der Mannschaft oder den aktuellen Tabellenplatz?
Beides. Für mich haben wir vom Potenzial, von den spielerischen Elementen und von dem, was wir im Stande sind zu leisten, mit die beste Mannschaft der Liga. Wir hatten am Anfang das eine oder andere Spiel, in dem wir ein bisschen gestaunt haben, aber da sind wir gemeinsam rausgekommen. Das zeigt die Qualität, die in der Mannschaft steckt. Es ist nicht so leicht, Spiele wie den Saisonauftakt gegen Kiel oder Regensburg so einfach abzuschütteln und daraus gestärkt hervorzugehen. Das haben wir geschafft, obwohl wir wirklich eine sehr junge Truppe sind. Das bestätigt aber, was ich von der Mannschaft halte und erwartet habe.
Welche Qualitäten stechen deiner Meinung noch heraus?
Dieses Jahr haben wir eine Mannschaft zusammengestellt, die wirklich Fußball spielen will. Jeder, der auf dem Platz steht, hat gerne den Ball. Das war in den letzten Jahren nicht immer in der Breite so. Die sportliche Leitung hat auf jeden Fall einen sehr guten Job in der Kaderzusammenstellung gemacht. Dazu haben wir viele Facetten in unserem Spiel. Vorne unglaubliche Geschwindigkeit, die man nicht so oft findet, im Mittelfeld Spieler, die diese Leute einsetzen können, und auch dahinter welche, die uns unglaubliche Stabilität geben.
Im Fußball-Business wird in Momenten, wie sie der HSV erlebt hat, immer davon gesprochen, dass sich ein Verein mal von Grund auf gesunden könnte. Siehst du diese Tendenzen und wie erlebst du die Stimmungslage zurzeit?
Im Moment gibt es rund um den Verein viele zufriedene Gesichter, weil viele richtige Entscheidungen getroffen worden sind. Es lebt natürlich viel davon, was wir samstags auf dem Platz zeigen. Das ist das Wichtigste. Wenn wir das hinkriegen, dann können wir für eine gewisse Ruhe im Verein sorgen. Wenn es sportlich läuft, gibt es wenig Gegenargumente. Da lassen sich dann auch viele andere Dinge leichter umsetzen.
Du nimmst innerhalb der Mannschaft eine besondere Rolle ein, nicht nur aufgrund der Wahl zum Kapitän, sondern auch im Spiel auf dem Platz. Wie hat sich deine Rolle entwickelt und wie erlebst du sie?
Meine Rolle hat sich nicht großartig verändert. Ich stehe als Kapitän sicher mehr in der Verantwortung als vorher, aber es ist nach wie vor so, dass ich der Mannschaft mit meiner Art helfen will, die ich auch vorher schon gezeigt habe.
Welche meinst du?
Ich glaube, ich kann den einen oder anderen mit meiner Art, wie ich Fußball spiele, besser machen und ihn auch an seine Bestleistung bringen. Darüber hinaus haben wir viele junge Spieler. Ich weiß um meine Bedeutung, den einen oder anderen einmal zur Seite zu nehmen und diejenigen, die vielleicht gerade hinten dran sind, aufzubauen. Da gilt es für mich, der schon länger dabei ist, entsprechendes Fingerspitzengefühl zu zeigen. Ich weiß genau, wie die Spieler sich fühlen. Jeder Fußballer will am Wochenende auf dem Platz stehen, es geht aber nur zu elft.
Wie geht die Mannschaft mit der Konkurrenzsituation im Kader um?
Sie macht es hervorragend. Das habe ich auch schon anders erlebt. Es kommt überhaupt kein Gefühl von Unzufriedenheit auf. Es zieht sich auch keiner zurück und verbreitet schlechte Stimmung. Das macht uns zurzeit so stark. Wir sind ein richtiges Team.
Hast du ein Bespiel?
Das beste Beispiel ist für mich Baka, der in den ersten Spielen der Saison überhaupt keine Rolle gespielt hat und auch auf der Tribüne saß. Er hat sehr lange auf seine Chance warten müssen und hat es jetzt in den letzten Wochen super gemacht. Dass er schnell ist, wussten wir schon immer, aber jetzt ist er auch noch ballsicher geworden und hat ein klares Passspiel. Er hat einen klaren Schritt nach vorne gemacht.
Wie siehst du generell die Entwicklung, die die Mannschaft in der 2. Liga genommen hat? Haben wir uns an die Liga gewöhnt?
Wir haben eine gute Entwicklung genommen und viel Selbstbewusstsein getankt, die aber unabhängig von der Liga zu sehen ist. Wir wollen uns gar nicht großartig an die Gegner anpassen, sondern jede Woche, egal gegen wen wir spielen, unser Spiel durchbringen. Wir wissen, was wir können, und welches Potenzial wir haben. Deshalb gilt es als Erstes, nur auf uns zu gucken.
Wenn du auf dich schaust. Hast du auch selber etwas verändert?
Bei mir hat sich nicht viel geändert. Meine Art kommt vielleicht jetzt ein bisschen mehr zum Tragen und ist auffälliger, weil wir einen guten Ballbesitz und aus guten Räumen spielen. Und weil wir drei Spieler vorne haben, bei denen ich genau weiß, wie ich sie einsetzen kann und muss. Das passt im Moment.
Bei all den Ereignissen und Entwicklungen. Welchen Stellenwert nimmt das Jahr insgesamt für dich ein?
Schwierig. Da wir in diesem Jahr abgestiegen sind, würde ich es am liebsten vergessen. Das geht natürlich nicht. Deshalb hat das Jahr zwei Seiten: Die schlechte Seite ist, dass wir abgestiegen sind, dass wir keine gute Saison gespielt haben und vieles im gesamten Verein schiefgelaufen ist. Die andere Seite der Medaille ist, dass sich eine neue Chance ergeben hat, dass wir neue Ziele mit dem Verein haben und dass man einiges wieder gut machen kann.
Wie spiegelt sich das in deinen Gedanken wider?
In meinem Kopf überdecken die positiven Gefühle die Ereignisse von damals. Gerade wenn wir zuhause spielen, fühlt es sich gar nicht an wie 2. Liga. Fast jedes Spiel sind 50.000 Zuschauer in unserem Stadion, auch auswärts haben wir immer viele Fans mit dabei und alle Karten sind weg. Das ist nicht selbstverständlich.
Kommt dir das Jahr rückblickend eigentlich insgesamt viel länger vor, weil so viel passiert ist?
Eher kürzer. Es geht alles rasend schnell. Dass wir jetzt schon die Hinrunde plus das erste Rückrundenspiel in der 2. Bundesliga gespielt haben, ist der Wahnsinn. Aber entspannen können wir uns nicht. Es wird Schlag auf Schlag weitergehen.
Was sind denn deine Wünsche für das kommende Jahr?
Wir haben alle ein großes Ziel im Mai. Da sind wir auf einem guten Weg, aber jetzt ist erst Halbzeit. Bis jetzt haben wir eine gute Punkteausbeute, aber bei uns ist keiner dabei, der in der Kabine herumläuft und tönt, wie gut wir sind. In der letzten Woche vor dem Kiel-Spiel hat sich keiner zurückgenommen. So muss es auch weiter gehen.
Welche Schritte sind dafür notwendig?
Wir müssen nach der Winterpause schnell wieder den Fokus kriegen und eine gute Vorbereitung absolvieren. Die Zeit ist kurz. Wir starten Ende Januar gleich mit einer Englischen Woche. Jeder muss sich davor in eine gute körperliche Verfassung bringen, so dass wir gleich vom ersten Spiel an voll powern können.
Dafür wünschen wir euch viel Kraft und jetzt erst einmal ein paar erholsame freie Tage.