Nachwuchs
04.11.21
"Der Fußball ist ein ganz anderer"
Im September wurde U21-Spieler Jonah Fabisch erstmals in den Kader der simbabwischen A-Nationalmannschaft berufen. Auf sein Debüt im Dress der Afrikaner wartet der Mittelfeldspieler zwar noch, die prägenden Eindrücke seiner Reise aber bleiben – von diesen berichtet er im Gespräch mit dem HSVlive-Magazin.
Wenige Tage nach seinem 20. Geburtstag im vergangenen August bekam U21-Spieler Jonah Fabisch vom Fußballverband Simbabwes ein nachträgliches Geschenk überreicht: Erstmals wurde der defensive Mittelfeldspieler des HSV in den Kader der A-Nationalmannschaft berufen und durfte damit an den WMQualifikationsspielen gegen Südafrika (0:0) und Äthiopien (0:1) teilnehmen. Fabisch, dessen Mutter die simbabwische Leichtathletin Chawada Kachidza ist, musste nicht lange überlegen und sagte der Reise sofort zu. Im Heimatland seiner Mutter, die bis heute den simbabwischen Rekord im 100-Meter-Hürdenlauf hält, ist der Familienname Fabisch ohnehin in aller Munde, da auch Vater Reinhard Fabisch (verstorben am 12. Juli 2008) in den 1990erJahren als Fußballnationaltrainer Simbabwes große Sympathien erlangte. Aufgrund der Sportbegeisterung und der damit verbundenen Berufe seiner Eltern wuchs Jonah Fabisch, der in Kenia zur Welt kam, auf insgesamt vier Kontinenten auf, lebte als Kind und Jugendlicher unter anderem in Südamerika, Westafrika und der Arabischen Halbinsel, ehe es die Familie nach Hamburg zog. Beim HSV durchlief Fabisch seit 2012 alle Jugendmannschaften und ist heute fester Bestandteil der U21 in der Regionalliga Nord. Dort führt der Doppelstaatler die Fäden der Rothosen in der Zentrale zusammen und schnupperte in der Vergangenheit durch Trainingseinheiten und Trainingslager auch schon bei den Profis Bundesligaluft. So bezeichnet sich Fabisch heute selbst als Hamburger, der in der Hansestadt und beim HSV sein Zuhause gefunden hat. Eine gewisse Internationalität kann man dem 20-Jährigen jedoch nicht absprechen. „Ich fühle mich in Hamburg sehr wohl, genieße es aber auch, dass meine Familie auf der ganzen Welt verteilt lebt und ich so immer wieder in Kontakt mit anderen Kulturen komme“, sagt er. Insbesondere nach Simbabwe pflegt der Mittelfeldspieler eine enge Beziehung, verbringt Jahr für Jahr seine freie Zeit bei seiner Großmutter und will mit sportlichen Erfolgen nun seine eigenen Fußspuren hinterlassen. Entsprechend riesig war die Freude, als die „Warriors“ ihn für den Kader der WM-Qualifikationsspiele im September beriefen. Zwar kam er 20-Jährige in diesen Partien nicht zum Einsatz, beschreibt die Reise aber als eindrückliches Erlebnis, das einen weiteren wichtigen Entwicklungsschritt in seiner noch jungen Laufbahn darstellt und ihm wertvolle internationale Erfahrungswerte liefert.
Jonah Fabisch nimmt die HSVlive-Redaktion mit auf seine Länderspielreise und berichtet über …
… seine Verbindung nach Simbabwe: Simbabwe ist der Rückzugsort meiner ganzen Familie. Bis zu meinem zehnten Lebensjahr waren wir jedes Jahr in den Ferien dort, um meine Großmutter zu besuchen, die bis heute in dem Land lebt. Sie hat mich während der Reise auch im Hotel besucht. Der Rest meiner Familie lebt insgesamt auf der ganzen Welt verteilt, teilweise in den Emiraten, den USA und in Europa. In Simbabwe kommen wir immer an Weihnachten zusammen. Da ist dann richtig was los. Deshalb verbinde ich das Land vor allem mit vielen schönen Familienfesten.
… seine Popularität: In Simbabwe kennt mehr oder weniger jeder Erwachsene meinen Papa aus seiner Zeit als Nationaltrainer in den 1990er-Jahren. Dadurch konnten die Leute auch mich schnell zuordnen. Viele Leute haben mich direkt erkannt, haben sich noch an meinen Vater erinnert oder mich darauf angesprochen. Ich habe mich sehr gefreut, so herzlich empfangen zu werden. Das war ein schönes Gefühl.
… seinen Kontakt zum Fußballverband: Der erste Kontakt zum Verband kam bereits vor rund vier Jahren auf. Damals wurde ich lose kontaktiert und gefragt, ob ich mir Einsätze in der Nationalmannschaft überhaupt vorstellen könnte – und das konnte ich. Ich hatte zu dem Zeitpunkt zwar einige Lehrgänge mit den U-Mannschaften des DFB absolviert, aber kein Länderspiel gespielt und konnte mir immer gut vorstellen, im Trikot von Simbabwe zu spielen. 2019 sollte ich dann erstmals für die U23 nominiert werden. Das war damals allerdings nicht so einfach, weil ich noch zur Schule gegangen bin und zu dem Zeitpunkt auch parallel bei den Profis mittrainieren durfte. Deshalb habe ich das letztlich abgesagt. Im Sommer hatten wir dann erneut Kontakt, weil die A-Nationalmannschaft ein Turnier der südafrikanischen Mannschaften gespielt hat. Da konnte ich aufgrund der Corona-Situation jedoch nicht hinfahren. Ich war noch ungeimpft, es war unklar, wie der Flugverkehr zu der Zeit aussieht und ich hätte zudem nach meiner Rückkehr in Quarantäne gemusst. Das war insgesamt zu riskant. Deshalb habe ich mir umso mehr gefreut, dass dieses Mal endlich alles gepasst hat.
… seinen ersten Kontakt zu seinen Mitspielern: Ich kannte meine Mitspieler bis zu meiner Ankunft nicht persönlich, sondern nur aus dem Fernseher. Im Hotel wurde ich dann super empfangen und aufgenommen. Trotzdem war ich vor dem ersten Training ganz schön aufgeregt. Da wollte ich mich unbedingt beweisen. Ich wollte zeigen, dass ich zurecht nominiert wurde und die Klasse habe, um dabei zu sein. Das hat bei der ersten Einheit überhaupt nicht funktioniert, da war ich viel zu nervös und fehlerhaft. (lacht) Aber die Mannschaft hat das gemerkt und mich ganz gut aufgefangen. Danach wurde es dann deutlich besser und ich habe sehr viel positive Rückmeldung bekommen. Insgesamt habe ich mich von Anfang an gut aufgenommen gefühlt. Zu ein paar Jungs habe ich auch jetzt noch Kontakt, wir schreiben regelmäßig über WhatsApp.
… das Mannschaftsgefüge: Ich war der jüngste Spieler im Kader, die Mannschaft ist insgesamt eher älter. Es gibt in Simbabwe eine sehr starke Generation an Fußballern, die etwa zehn Jahre älter sind als ich. Die Jungs sind gerade eher am Ende ihrer Karriere und wollten sich natürlich jetzt umso mehr für die WM qualifizieren, weil es für sie vermutlich die letzte Möglichkeit ist, bei so einem Turnier dabei zu sein. Da war ein guter Druck innerhalb der Mannschaft zu spüren. Trotzdem war auch immer die Verbindung zu den jüngeren Spielern da. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich nebendran stehe und erstmal als „Der Neue“ gelte, sondern wurde direkt integriert.
… sein verpasstes Nationalmannschaftsdebüt: Ich hatte nicht unbedingt damit gerechnet, zum Einsatz zu kommen, aber es mir natürlich gewünscht. Mit dem Cheftrainer habe ich kurz darüber gesprochen, welche Positionen und Formationen mir besonders liegen. Angedacht war, dass ich eventuell im zweiten Spiel Einsatzzeit bekomme. Letztlich hat er aber doch eher auf die erfahreneren Spieler gesetzt. Ich hätte sehr gerne mein Debüt gefeiert, aber die Erfahrung der Reise nimmt mir keiner mehr – und der Rest kann ja noch kommen. Ich habe das Gefühl vermittelt bekommen, dass meine Leistungen ordentlich waren und ich bald wieder dabei sein kann. Der Rest liegt jetzt an mir.
… die Unterschiede zum Fußball in Deutschland: Der Fußball ist nochmal ein ganz anderer als ich es aus Deutschland gewohnt bin, darauf musste ich mich erstmal einstellen. Die Abstände zwischen den Reihen sind sehr viel breiter, das Spiel ist insgesamt noch stärker in Offensive und Defensive eingeteilt. Es gibt zudem wenig Spiel ohne Ball, es ist etwas statischer und abhängig von Einzelspielern, die das Match an sich reißen und die Mannschaften führen. Außerdem habe ich vor allem in Simbabwe gemerkt, wie gut eigentlich unsere Plätze hier in Deutschland sind. (lacht) Das wirkt sich teilweise auch auf den Fußball aus, weil sich die Mannschaften darauf einstellen und nicht nur flach spielen, sondern viel öfter mit hohen Bällen agieren und sehr viele Zweikämpfe führen.
… besondere Rituale im Nationalteam: Ganz neu war für mich das Singen auf den Fahrten ins Stadion. Wir saßen alle zusammen im Bus und haben laut gesungen. Trainer, Spieler, sogar der Busfahrer. Alle haben mitgesungen und Gott um Kraft für das Spiel gebeten. Das war für mich komplett neu, auf unseren Fahrten bei der U21 ist es im Bus eher still, jeder bereitet sich innerlich auf die Partie vor. Aber es hat mir gut gefallen, weil es einen großen Teil der Anspannung nimmt und alle gelassen aus dem Bus aussteigen.
… seine Gefühlswelt beim ersten Spiel: Unser erstes Spiel hatten wir gegen Südafrika und es wurde im Nationalstadion gespielt. Das ist an sich schon beeindruckend, mit Zuschauern wäre es sicherlich eine Wahnsinnsstimmung gewesen. Zumal das Spiel quasi ein Derby ist – ein Nachbarschaftsduell, vergleichbar mit Deutschland gegen die Niederlande. Diese Partien sind immer intensiv. Beide Nationen bewegen sich spielerisch auf Augenhöhe und es kann in beide Richtungen kippen. Entsprechend hat das Spiel in den Tagen davor viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, das haben wir alle mitbekommen. Den Moment, den ich mir noch intensiver vorgestellt hatte, war das Singen der Nationalhymne. Ich hatte im Vorfeld ganz gut eingeschätzt, was mich da erwartet. Insgesamt war ich vor dem ersten Training deshalb deutlich aufgeregter als vor dem ersten Spiel. Zu dem Zeitpunkt habe ich mich schon so wohlgefühlt, dass ich gar nicht mehr so aufgeregt war.
… die für ihn wichtigsten Erkenntnisse der Reise: Ich nehme vor allem mit, dass Fußballer relativ ähnlich sind. Bloß, weil ich jetzt in einem anderen Land unterwegs war, waren die Menschen nicht komplett anders. Fußballer spielen gerne Fußball – klingt simpel, ist aber so. (lacht) Und sie haben auch ansonsten ähnliche Interessen. Zum anderen nehme ich jede Menge Eindrücke mit, welche Stimmung so herrscht, wie in der Mannschaft und im Verband allgemein gearbeitet wird, was auch ein Stück weit anders ist als hier, wo sich die Systeme ähneln. Auf dem Platz habe ich gelernt, dass man nicht auf sich alleine gestellt ist, aber unbedingt auf seine eigenen Stärken vertrauen muss. Du musst deine eigenen Ideen einbringen und Entscheidungen treffen. Du musst vorangehen. Das wurde mir nochmal deutlich bewusster.
… seine Wünsche für die Zukunft: Für mich geht es nun erstmal darum, den nächsten Schritt in meiner Entwicklung zu gehen und noch konstanter in meinen Leistungen zu werden. Langfristig und mit Blick auf die Zeit nach der Karriere hoffe ich, all die Erfahrung, die ich jetzt sammeln kann, irgendwann auch einmal weitergeben zu können. Deshalb will ich nun möglichst viel aufsaugen und mitnehmen. Ich kann mir gut vorstellen, einmal als Trainer zu arbeiten, mache gerade meine B-Lizenz und bin immer mal wieder auch bei den jüngeren Teams in Norderstedt, um dort von den Trainerteams zu lernen. Wo genau ich Trainer werden möchte, weiß ich noch nicht. Ich bin da offen für. Ich habe als Kind durch meinen Papa erfahren, wie viele Möglichkeiten das Traineramt eröffnet. Das finde ich sehr spannend.