skip_navigation

Trainingslager

31.07.16

"Große Herausforderung, diese junge Mannschaft zu entwickeln"

Im Interview mit HSV.de spricht Emir Spahic über seine Rolle beim HSV, seine Karriere, Entwicklungen im Profifußball, seinen Charakter und seinen "Lieblingsspieler" bei den Rothosen.

Trotz seines Augenhöhlenbruchs und der verordneten Zwangspause lässt es sich Emir Spahic nicht nehmen, die Tage weiterhin bei seiner Mannschaft in der "Klosterpforte" zu verbringen. Am Sonntagvormittag (31. Juli) verfolgte er die Trainingseinheit gemeinsam mit Klubboss Dietmar Beiersdorfer aufmerksam vom Spielfeldrand aus, im Anschluss daran nahm er sich für HSV.de lange Zeit für ein Gespräch über seine Rolle, seine Karriere, Entwicklungen im Profifußball, seinen Charakter und seinen "Lieblingsspieler" beim HSV.

HSV.de: Emir, nach der abgelaufenen Saison hattest du einen langen Austausch mit Bruno Labbadia. Anschließend habt ihr euch entschieden, ein weiteres Jahr zusammenzuarbeiten und du hast deinen Vertrag beim HSV verlängert. Was erwartet der Trainer jetzt von dir?

Spahic: Es ist richtig, wir haben sehr lange über alles gesprochen. Ich weiß ganz genau, was der Trainer von mir verlangt. Er möchte, dass ich die jungen Spieler auf dem Platz und neben dem Platz unterstütze. Es ist jetzt eine große Herausforderung, diese junge Mannschaft zu entwickeln. Dabei kommt einem erfahrenen Spieler wie mir natürlich auch eine tragende Rolle und eine gewisse Verantwortung zu. Das kann ein Trainer niemals ganz alleine schaffen. In erster Linie während eines Spiels braucht er Hilfe. Auf dem Platz müssen die Jüngeren immer eine Orientierung haben. Und die erfahreneren Spieler sind auch dazu angehalten, ganz genau zu beobachten, was in der Mannschaft passiert, die Entwicklungen im Auge zu behalten, um dann schnell reagieren zu können. Letzte Saison beispielsweise haben wir eine gute Hinrunde gespielt, im Winter hatten wir dann aus verschiedensten Gründen eine kleine Delle. Gerade in solchen Phasen ist es unerlässlich, eng zusammenzubleiben.

Was brauchst du heutzutage noch von einem Trainer?

Spahic: Auch ich brauche Unterstützung. Es läuft auch bei mir nicht immer so, wie ich das gern hätte. Dann muss jemand da sein, der zu dir steht, der dich nicht fallen lässt. Der dir dann in einem Gespräch oder mit einer besonderen Ansprache wieder hilft, schnell wieder auf einen besseren Weg zurückzukommen. Mir war es immer wichtig, eine gute Kommunikation mit meinem Trainer zu haben. Ein Feedback von ihm zu bekommen. Heute ist das für mich ein bisschen einfacher. Früher haben die Trainer zu den jüngeren Spielern meistens Distanz gehalten. Durch geschlossene Türen ist es dann nicht so leicht, da hast du dein einziges Feedback durch die Aufstellung erhalten.

Kannst du dir vorstellen, selbst mal als Trainer zu arbeiten?

Spahic: In diesem Moment nicht. Nicht, weil ich es mir grundsätzlich nicht vorstellen könnte. Vielmehr ist es so, dass ich noch so sehr mit meiner Spielerkarriere beschäftigt bin, dass ich gedanklich gar nicht frei bin, um die Zeit danach planen zu können.

"Dass für einen Spieler 100 Millionen Euro bezahlt werden, finde ich verrückt"

Wie lange möchtest du noch spielen?

Spahic: Es kann sein, dass es jetzt mein letztes Jahr ist. Es muss aber nicht so sein. Ich kann doch keine Pläne mehr über zwei, drei Jahre machen. Ich muss immer sehen, wie es physisch läuft, wie lange der Körper es mitmacht. Es wird auf jeden Fall keinen Tag geben, an dem man mich in irgendeiner Form durchschleppen muss. Momentan fühlt es sich sehr gut an - unabhängig von meiner aktuellen Verletzung. Die wird schnell wieder verheilen. Was dann nach der Fußballkarriere kommt, werde ich sehen. Ich werde sicher etwas für mich finden. Auch wenn es sich am Anfang sehr ungewohnt anfühlen wird. Ich gehe in meine 20. Saison als Profi. Im Durchschnitt hat das jeden Tag bestimmt sechs bis acht Stunden in Anspruch genommen. Das Training, die Vorbereitung darauf, die Spiele, die Reisen. Da entsteht dann schon eine beträchtliche Lücke, die wieder gefüllt werden will.

Wie bewertest du die allgemeine Entwicklung des Profifußballs?

Spahic: Fußball ist heute richtig großes Business. Manches fühlt sich dabei komisch an für mich. Dass für einen Spieler 100 Millionen Euro bezahlt werden, finde ich verrückt. Auch im direkten Umfeld einer Mannschaft beispielsweise hat sich viel verändert. Videoanalysten, Physiotherapeuten, Mediziner, Mentaltrainer, Ernährungsexperten. Zu Beginn meiner Karriere gab es das in dieser Form noch nicht. Auch wenn ich für mich natürlich einen Weg gefunden habe, von dem ich nicht mehr abweiche, finde ich diese Entwicklung spannend und bin weit davon entfernt, sie zu kritisieren.

Was konkret weckt dein Interesse?

Spahic: Ernährung ist zum Beispiel ein wichtiges Thema. Ich weiß mittlerweile, was mir bekommt und was nicht. Ich habe wenig Probleme mit meinem Milchkaffee. Aber ein junger Spieler? Wenn du da nicht aufpasst, was du zu dir nimmst, kannst du deine Karriere maßgeblich beeinflussen im negativen Sinn. Da muss auch jeder das Bewusstsein bekommen, dass die richtige Ernährung Teil einer professionellen Einstellung zum Job ist. Es geht ja auch darum, was man am Abend zu Hause isst oder im Urlaub. Immer dann wenn der Klub keine Kontrolle mehr darüber haben kann.

Wie stehst du zu einem Mentaltrainer?

Spahic: In diesem Leben gibt es so viel Stress. Du arbeitest jeden Tag in Stresssituationen und hast Druck. Wenn dir jemand dabei helfen kann, einen besseren Umgang damit zu haben, finde ich das gut - gerade für jüngere Spieler. Das Funktionieren in dieser Welt ist nicht so einfach. Auch als Fußballer ist es nicht immer einfach. Viele denken ja, dass es das ist und stellen immer das Geld, das wir verdienen, an den Anfang und ans Ende ihrer Argumentation. Es ist aber nicht schön, ständig unter Beobachtung zu stehen. Wenn du weißt, dass immer jemand hinter dir steht, der gerade ein Foto oder ein Video von dir macht. Oder wenn du dich verletzt und nicht akzeptieren kannst, dass du ein halbes Jahr oder länger ausfällst. Da kann man schon jemanden brauchen, der einem dann hilft.

"Ich bin schon ein Holzkopf"

Wie war es für dich zu Beginn deiner Karriere?

Spahic: Schwer. Sehr schwer. Es war eine andere Zeit. Ich musste alles allein machen. Mit 17 Jahren bin ich in die Türkei gegangen. Ohne Familie, ohne Freunde. Ein anderes Land, eine andere Sprache. Ich hatte damals auch Zweifel, ob ich es schaffen würde. Es war die schwierigste Phase für mich. Dann habe ich aber entschieden, es durchzuziehen. Ich bin schon ein Holzkopf. Heute würde ich sagen, dass mich diese Zeit stark gemacht und geprägt hat. Ein anderer Weg hätte mich sicher zu einem anderen Typen werden lassen.

Die Öffentlichkeit lässt du Zeit deiner Karriere kaum an diesem Weg teilhaben. Zumindest nicht was das Geschehen abseits des Spielfeldes betrifft.

Spahic: Ich habe das irgendwann so entschieden. Manchmal habe ich auch Lust zu sagen, was ich gerade so denke. Aber ich denke schon, dass es so insgesamt der bessere Weg für mich ist. Das heißt aber nicht, dass ich ein Problem habe mit der Presse. In Bosnien gehören auch ein paar Journalisten zu meinem Freundeskreis. Unsere Gespräche sind aber ausschließlich privat.

Hast du dir in deiner Karriere alle Wünsche erfüllen können, alle deine Ziele erreicht?

Spahic: Ich kann selbstbewusst sagen, dass ich einiges geschafft habe. Und dabei meinen eigenen Weg gegangen bin, in verschiedenen Ländern bei starken Vereinen gespielt habe. Mein größter Wunsch war, mit Bosnien an einer WM teilzunehmen. Auch der ist in Erfüllung gegangen.

Gab es mal eine Anfrage von einem der ganz großen Vereine wie Barcelona oder Real Madrid?

Spahic: Zu meiner Zeit in Montpellier gab es ein Angebot vom FC Arsenal. Das wollte ich gern machen. Aber der Präsident hat 25 Millionen Euro für mich gefordert. Für einen Innenverteidiger! Das war natürlich völlig abwegig und der Transfer kam nicht zustande. Schade. Ich bin dann später zum FC Sevilla gewechselt.

"Zu Hause sollten wir der Boss sein"

Und jetzt der HSV... Wie hat sich das erste Jahr in Hamburg angefühlt?

Spahic: Das erste Jahr war ok. Als ich kam, wusste ich ja, dass der Klub stressige, sehr schwierige Zeiten hinter sich hatte. Zwei Mal hintereinander Relegation, immer der Kampf ums Überleben. Das kann man nicht so einfach abschütteln. Auch nicht wenn du ein paar Spieler austauschst. So etwas sitzt ganz tief. Ein langatmiger Prozess, dann wieder nach vorn zu kommen. Wir sind dabei.Wir haben es schon ganz gut gemacht in der vergangenen Saison. Es gab Momente, in denen es nur über den Willen gehen konnte. Da waren wir da.

Die Fans haben dich zum Spieler der Saison 15/16 gewählt. Hat das eine Bedeutung für dich?

Spahic: Doch, natürlich. Das hat mich gefreut. Ich bin ja nicht derjenige, der ständig zu den Fans in die Kurve läuft. Ich winke kurz vorm Spiel und bedanke mich kurz nach dem Spiel, dann gehe ich wieder in die Kabine. Meinen Job sehe ich eher darin, auf dem Platz zu 100 Prozent da zu sein und der Mannschaft zu helfen. Für mich kann es dann hilfreich sein, wenn ich auch die Unterstützung von den Rängen bekomme, wenn es bei mir persönlich mal nicht gut läuft auf dem Feld. Und da haben unsere Fans ein gutes Gefühl, wie sie einem Spieler auch helfen können.

Wie hilfst du dir in solchen Momenten selbst?

Spahic: Wenn ich merke, dass ich aus irgendeinem Grund nicht mein Niveau erreiche, probiere ich trotzdem ruhig und konzentriert zu bleiben und spiele erstmal sehr einfach. Außerdem kommuniziere ich noch stärker mit meinen Nebenleuten, um sie enger an mich heranzuholen. So geht die Stabilität nicht verloren und ich kann mir selbst wieder Sicherheit holen.

Wie gehst du mit Pfiffen der Fans um?

Spahic: Indem ich mir die Entstehung herleite. Die Fans kommen immer wieder mit großer Hoffnung und Zuversicht ins Stadion. Sie wollen auch gewinnen. Der Ausgang des Spiels hat auch Auswirkungen auf ihr emotionales Leben. Wenn es dann nicht läuft, muss die Enttäuschung irgendwo hin. Ich finde es viel schlimmer wenn die Fans nichts mehr erwarten. Wenn Sie gleichgültig sind. Damit könnte ich nicht umgehen.

Zu Hause gab es vergangene Saison nicht genügend Siege.

Spahic: Das müssen wir ändern. Das ist ein Ziel für die kommende Saison. Zu Hause sollten wir der Boss sein. Da kann nicht einfach jemand rein kommen und sich nehmen, was ihm gefällt. Das lässt sich allerdings leicht sagen. Nur dadurch änderst du es ja noch nicht. Es geht dabei in erster Linie um mentale Dinge. Den jahrelangen Kampf des HSV ums Überleben haben wir ja schon angesprochen. Das ständige Verteidigen. Daraus ist aber auch Kraft zu ziehen. Weil der Klub es geschafft hat. Jetzt können wir vom ersten Tag an sagen, dass wir wissen was zu tun ist, um nie wieder in solche Situationen zu kommen. Wenn wir das machen, können wir wieder viel gewinnen und die entsprechende Haltung entwickeln. Mein Wunsch ist es, dass wir als Mannschaft auf den Platz gehen und sagen: 'Heute gewinnen wir'. Egal wer auf der anderen Seite steht.

"Ich bin Fan von Finn Porath. Den finde ich klasse"

Womit wir wieder bei deiner Rolle wären.

Spahic: Ja. Ich möchte das Beste für die Mannschaft. Und ich weiß auch, dass ich charakterlich nicht so einfach bin. Ich bin manchmal zu laut und sage Dinge zu direkt oder aggressiv. Aus einem Moment heraus. Wenn ich dann darüber nachgedacht habe, probiere ich wieder auf die Leute zuzugehen und einen anderen Weg zu finden. Die Sachen mit ein bisschen mehr Gefühl zu besprechen. Ich denke, dass ich der Mannschaft so mehr geben kann.

Was kannst du Filip Kostic und Alen Halilovic mit auf den Weg geben?

Spahic: Filip kennt sich ja schon aus in der Bundesliga, er konnte alles beobachten während seiner Zeit in Stuttgart. Für Alen ist die Situation noch neu. In seinem Land ist er schon ein Star, hier ist aber alles noch ganz anders. Die Erwartungshaltung an ihn ist sehr groß. Er braucht sicher ein bisschen Zeit, um ein Gefühl für die neue Situation zu entwickeln und zu lernen. Ich probiere ihn und Filip zu unterstützen. Aber auch die ganze Mannschaft.

Von welchem Spieler aus deiner eigenen Mannschaft bist du denn Fan?

Spahic: Von Finn Porath. Den finde ich klasse. Er ist wirklich ein sehr guter Spieler, das habe ich im Training sofort gesehen. Technisch und taktisch hat er schon fast alles drauf, jetzt muss er sich körperlich noch besser entwickeln. Ihm traue ich es zu.

Emir, vielen Dank für das ausführliche Gespräch.